Harmonische Funktionen

Kurze Einführung in die Theorie der harmonischen Funktionen nach Hugo Riemann

Die Theorie der harmonischen Funktionen geht auf den deutschen Musiktheoretiker Hugo Riemann (1849-1919) zurück. Sie wurde von Herrmann Grabner (1886-1969) überarbeitet. Diese Theorie wird auch heute noch an deutschen Musikschulen gelehrt. Sie ist nicht unumstritten und keineswegs selbstverständlich. Synfire nutzt diese Theorie nur insoweit, als sie für die Erstellung von Akkordprogressionen nützlich und inspirierend sein kann.

Grundlagen

Die Theorie beschreibt ein System von Beziehungen zwischen Harmonien, die sich um ein tonales Zentrum (Grundton) ausbreiten. Buchstaben (Funktionssymbole) werden verwendet, um die Harmonien zu identifizieren:

T, t = Tonika S, s = Subdominante D, d = Dominante P, p = Parallele G, g = Gegenklang N = Neapolitaner

Einerseits weisen diese Symbole auf einen bestimmten Dur- oder Molldreiklang hin, wenn sie in Bezug auf ein tonales Zentrum aufgelöst werden. Andererseits stehen sie auch für die Idee einer "Funktion" im Sinne einer Rolle oder eines Zwecks, die sie innerhalb einer Akkordprogression erfüllen.

Abgesehen von den primären Funktionen Tonika, Dominante und Subdominante und ihren unmittelbaren Verwandten spekuliert Synfire nicht darüber, ob sich hinter den Funktionen auf höherer Ebene eine verborgene Magie verbirgt. Wir betrachten dies eher aus einer praktischen Perspektive, als Hilfsmittel für das Verständnis und die Erstellung von Progressionen, nicht unähnlich der bekannten Notation der römischen Ziffern.

Primäre Harmonien

Die Primärharmonien einer Tonart sind Tonika, Dominante und Subdominante. Die Dominante liegt eine Quinte über der Tonika und die Subdominante eine Quinte darunter. Da jede eine Quinte vom Grundton entfernt ist, spricht man von einer Quint-Verwandtschaft zwischen den Primärharmonien.

Tonika

Die Tonika ist der Dreiklang mit dem Grundton auf der ersten Stufe der horizontalen Skala der Tonart. Der Grundton des Akkords ist also auch der Grundton dieser Skala. Ein Dur-Dreiklang wird mit einem großen T und ein Moll-Dreiklang mit einem kleinen t geschrieben. Wenn zum Beispiel C der Grundton unserer Tonart ist, gilt Folgendes:

T = C t = Cm

Die Tonika wird als Zentrum der Ruhe wahrgenommen, das ein Gefühl von Stabilität und Ausgeglichenheit hervorruft. Wenn eine Melodie am Ende auf einen Schluss hinausläuft, der sich wie "Amen" oder "Om" anfühlt, dann ist dieser letzte Ton in der Regel das tonale Zentrum, der Grundton der Tonika. In der klassischen Musik wird der Schlussakkord in der Progression einer Moll-Tonart oft durch seine Dur-Version ersetzt, um einen bekannten Effekt zu erzielen (deutsch: "Trugschluss").

Dominante

Die Dominante wird als D oder d geschrieben. Sie liegt auf der fünften Stufe der Horizontalen Skala. Im Gegensatz zur Tonika ist die Dominante voller Spannung und sehnt sich nach einer Auflösung zur Tonika hin. Sie wird oft mit dissonanten Erweiterungen gespielt, um diese Sehnsucht deutlicher zu machen.

D7 t D9 t

Diese Auflösung D → T wird als authentische Kadenz bezeichnet, auch bekannt als 5 → 1. Sie funktioniert am besten mit einem Dur-Dominant-Akkord, obwohl die Dominanten auch moll sein können. Wenn du nicht weißt, wie du eine Akkordprogression abschließen sollst, ist D → T immer eine gute Option.

Subdominante

Die Subdominante wird mit S oder s geschrieben. Sie baut auf der vierten Stufe der Horizontalen Skala auf. Im tonalen Zentrum C (Dur oder Moll) gilt Folgendes:

D = G d = Gm S = F s = Fm

In einer Akkordprogression gehen Subdominant-Akkorde (und die von ihnen abgeleiteten Sekundärharmonien) oft einem dissonanteren Dominant-Akkord voraus, der dann zur Tonika zurückführt.

Neapolitaner

Dieser fröhliche Freund wird mit N notiert und als neapolitanischer Sextakkord bezeichnet. Er ist ein Dur-Dreiklang auf der erniedrigten zweiten Stufe (kleine Sekunde) der horizontalen Skala. Er kann anstelle der Subdominante verwendet werden und wird oft zur Dominante hin aufgelöst.

Beispiele

Hier ist ein Beispiel für die beliebte Progression t s D T, die in drei verschiedenen Tonarten aufgelöst wird:

Cm Fm G C Am Dm E A Ebm Abm Bb Eb

Sekundäre Harmonien

DieSekundärharmonien werden im Verhältnis zu den Primärharmonien gebildet. Sie stehen in einer Terz-Verwandtschaft zu den Primärharmonien. Ihr Grundton ist eine Terz vom Grundton der Primärharmonie entfernt. Die Harmonie, die auf einer großen Terz basiert, wird Gegenklang genannt, die, die auf einer kleinen Terz basiert, heißt Parallelklang. Sie werden mit G und g bzw. P und p notiert und an die Primärfunktion angehängt:

tP, tp, tG, tg, TP, Tp, ..., dP, dp, dG, ..., SG, Sg

Das Symbol tP steht zum Beispiel für Tonika Parallele und DG steht für Dominant Gegenklang.

Um es einfach zu halten, wollen wir nicht tiefer in die sekundären Harmonien eindringen. Als praktische Faustregel solltest du auf jeden Fall versuchen, primäre Harmonien durch ihre sekundären Verwandten zu ersetzen und andersherum.

Zwischenharmonien

Funktionen können sich vorübergehend auf eine verschobene Tonart beziehen. Diese werden als Zwischenharmonien bezeichnet. Es ist Ansichtssache, ob es sich dabei bereits um einen Tonartwechsel (Modulation) handelt oder ob nur mehr Spannung hinzu kommt (d.h. mehr Vorzeichen). Es hängt viel von der Dauer der Verschiebung ab und davon, ob die andere Tonart stark genug bekräftigt wird. Zum Beispiel könnte eine D → T-Kadenz (in der verschobenen Tonart) sie als neue Tonart etablieren.

Synfire ermöglicht die Texteingabe von Zwischenharmonien in der offiziellen Riemann-Notation. Alle Akkorde, die sich auf die verschobene Tonart beziehen, werden in Klammern zusammengefasst, während der Grundton des Akkords unmittelbar nach der schließenden Klammer das verschobene tonale Zentrum bestimmt:

t d (s DG) D T t d (s DG) [D] T

Die beiden Akkorde (s - DG) oben beziehen sich also auf den Tonart-Mittelpunkt auf dem Grundton D (nach der schließenden Klammer). Dieser Akkord kann in eckige Klammern gesetzt werden (wie im zweiten Beispiel), um zu verhindern, dass er erklingt. Das Verschachteln mehrerer Zwischenharmonien kann zu interessanten Progressionen führen, die durch mehrere Tonarten wandern.

Entfernte Beziehungen

Dominanten können verkettet (gestapelt) werden, um Sekundärdominanten zu bilden. Der Grundton einer Dominante wird als tonales Zentrum der nachfolgenden Dominante genommen, um die Dominante der Dominante zu erhalten. Das Gleiche gilt für Subdominanten.

Die Notation ist einfach: DD ist eine Doppeldominante, DDD eine Dreifachdominante usw. Das Gleiche gilt für SS, SSS, SSSS usw. Diese werden auch Dominantenketten genannt. Zwei Beispiele im Tonalen Zentrum von A:

DDDD DDD DD D = Db F# B E S SS SSS SSSS = D G C F
Dominantenketten erzielen eine große Wirkung, wenn sie erst im Nachhinein verstanden werden, d.h. zu einer Schlussfolgerung führen, die so lange undurchsichtig ist, bis sie schließlich mit dem letzten Akkord aufgelöst wird. Theoretisch lassen sich auch Sekundärharmonien verketten (stapeln), um weiter entfernte Beziehungen zu bezeichnen:
tGG, TPp, ..., spp

Obwohl Synfire unbegrenzt mit verketteten Ausdrücken umgehen kann, ist es zweifelhaft, ob extrem weit entfernte Beziehungen etwas erreichen, das als anspruchsvoller oder interessanter (akustisch) wahrgenommen wird als ein viel einfacherer Ausdruck.

Dur und Moll mischen

Wie du vielleicht schon bemerkt hast, hat ein Tonales Zentrum kein Geschlecht. Es ist weder Dur noch Moll. Bei der Arbeit mit harmonischen Funktionen kommt es häufig vor, dass sowohl Dur- als auch Moll-Varianten desselben Akkords in derselben Tonart vorkommen, obwohl die Töne des Akkords außerhalb der Horizontalen Skala der Tonart liegen. Darüber solltest du dir keine Sorgen machen, denn das unbegrenzte Mischen von Dur und Moll bietet mehr Freiheit und bringt Farbe und Spannung in deine Musik.

Mehrdeutigkeit

Akkorde nehmen je nach Kontext, in dem sie gespielt werden, unterschiedliche Rollen (Funktionen) ein. Es ist wahrscheinlich keine Überraschung, dass mehrere Funktionsausdrücke denselben Akkord ergeben können, vor allem, wenn die Ausdrücke verschachtelt sind.

Wenn Funktionssymbole in einer Palette angezeigt werden, siehst du viele Akkorde mit mehreren Funktionsausdrücken daneben. Einige Ausdrücke werden in Klammern angezeigt (nicht zu verwechseln mit Zwischenharmonien!). Beispiel:

F6(add9) in A = sP tG (s)

Der Akkord F6(add9) hat zwei Funktionen sp, tG in A und eine dritte Funktion, die in Klammern angezeigt wird, was bedeutet, dass sie nur eine Funktion eines Unterdreiklangs des Akkords ist (wenn der Akkord in mehrere übereinanderliegende Dreiklänge zerlegt werden kann). Ob ein Unterdreiklang (Teilmenge) eines Akkords wirklich eine funktionale Beziehung darstellt, ist umstritten. In der Praxis ist sie jedoch sicherlich interessant, wenn du nach einem Ersatz für einen Akkord mit einer ähnlichen harmonischen Funktion, aber einer anderen Klangfarbe suchst.

Syntax

Mit der Pro-Edition von Synfire kannst du Akkorde und Progressionen als harmonische Funktionen eingeben. Die ursprüngliche Notation von Riemann enthielt keine Angaben zu den Intervallstrukturen, die für die einzelnen Akkorde verwendet werden sollten. Synfire erkennt alle Akkordintervallstrukturen im Katalog und fügt sie als Suffix nach einem Doppelpunkt an den Ausdruck an.

Der Dur- oder Moll-Dreiklang, den der ursprüngliche Riemann-Ausdruck impliziert, wird durch den Akkordausdruck ersetzt, den du nach dem Doppelpunkt anhängst. In diesem Fall bleibt nur der Grundton erhalten. Bei einfachen Akkorderweiterungen, die als Zahl geschrieben werden können, ist der Doppelpunkt optional.

Nach einem Schrägstrich kann ein optionales Bassintervall angehängt werden.

t
tP/5
TG:(9,13)/7
DP7
DDD:dim7
sg:m7(b5)
Tp:7sus4(no5)
[sG]